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Staatliche Bekenntnisschulen – Exoten im Bildungssystem

Staatliche Bekenntnisschulen – Exoten im Bildungssystem

Während konfessionsgebundene Schulen in privater Trägerschaft durchaus weit verbreitet vorkommen, sind staatliche Bekenntnisschulen wahre Exoten in der deutschen Bildungslandschaft. Man kann sie lediglich in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vorfinden. Dort sind Schulen in staatlicher bzw. gemeindlicher Trägerschaft mitunter an eine bestimmte Konfession gebunden. Finanziert aus staatlichen Mitteln und mit weitreichenden Auswirkungen auf den Schulalltag.

Schüler:innen dürfen die Schulen nur mit entsprechender Konfession besuchen. In der Praxis führt dies oft zu Konflikten, da Kinder, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer solchen Schule wohnen, zum Teil kilometerweite Wege zur nächsten bekenntnisfreien Schule auf sich nehmen müssen, da sie keiner oder einer anderen Konfession angehören. Zwar gibt es Quoten für Schuler:innen anderer Konfessionen, doch die sind in der Praxis rasch ausgeschöpft.

Der Staat ist keine Religionsgemeinschaft

Auch Lehrkräfte sind von der geforderten Bekenntniszugehörigkeit betroffen. Die Konfession ist an den betreffenden staatlichen Schulen Zugangsvoraussetzung, auch für Mathematik- und Sportlehrer:innen. Ausnahmen sieht das Schulgesetz in NRW lediglich in bestimmten Fällen vor und verstößt damit eklatant gegen § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), wonach niemand aufgrund seiner Religionszugehörigkeit benachteiligt werden darf. Denn anders als Religionsgemeinschaften kann der Staat zwar grundsätzlich Bekenntnisschulen betreiben, sich jedoch nicht wie Religionsgemeinschaften auf die Ausnahmeregelung nach § 9 AGG für die Bekenntniszugehörigkeit berufen.

Die derzeitige gesetzliche Regelung in NRW wirkt umso befremdlicher, betrachtet man die aktuellen Ereignisse rund um “#OutInChurch”, bei der sich Ende Januar 2022 über 100 ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter:innen der katholischen Kirche als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intergeschlechtlich oder nichtbinär outeten. Viele Bistümer und katholische Dienstherren gaben daraufhin bekannt, dass das Outing keine dienstrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen werde. Das kirchliche Arbeitsrecht steht vor diesem Hintergrund in der Kritik und erst kürzlich formulierte der EuGH für das Konfessionserfordernis im Job strenge Kriterien (EuGH, Urt. v. 11.9.18 ‑ C-68/17).

Quo vadis staatliche Bekenntnisschule?

Wie vor diesen Entwicklungen eine staatlich geführte Schule die Lehrkräfteauswahl weiterhin an der Bekenntniszugehörigkeit ausgemacht werden kann, ist mehr als fraglich. Nunmehr formierte sich zudem seitens der Elternschaft und der Lehrer:innen Widerstand. Im Jahr 2021 richteten sich über 2.000 Menschen mit einer Petition an die Präsidentin des Landtags in Nordrhein-Westfalen und forderten: “Endlich Gerechtigkeit:Schluss mit Diskriminierung an Grundschulen in NRW!” Initiiert wurde die Petition von der Initiative “Kurze Beine – kurze Wege” aus Bonn, die sich schon seit längerem mit den Auswirkungen der staatlichen Bekenntnisschulen befasst.

In dem im MiGAZIN erschienenen Artikel “NRW trennt Grundschulkinder nach Religionszugehörigkeit” wurde auch meine rechtliche Bewertung zu den staatlichen Bekenntnisschulen vor dem Hintergrund des AGG mit einem eindrucksvollen Beispiel aus der Praxis angeführt. Es gilt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber in NRW den rechtlichen Missständen annimmt. Bis dahin bleibt es bei meiner im MiGazin angeführten Einschätzung:

Um diesen Missstand aufzulösen, müsste das Schulgesetz dahingehend geändert werden, dass es AGG-konform keine Einstellungsvoraussetzungen an das Bekenntnis knüpft.”

Sebastian Hartmann, Die staatliche Bekenntnisschule im Lichte des AGG, in DÖV 2015, 875, S. 880