Wahlen sind so eine Sache. Errungenschaft und zentrales Instrument in unserer gewachsenen Demokratie und zugleich immer neue Herausforderung. Manchmal überrascht das Ergebnis und manchmal sorgt das Prozedere für Verwunderung. So musste unlängst in Berlin die gesamte Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden und zudem in Teilen die Bundestagswahl. Aber auch der Blick auf manchen Stimmzettel versetzt in Staunen.
Gedankenexperiment
Es ist ein rauer Sonntag im März und Sie betreten nach dem Kirchgang das Wahllokal im fiktiven bayerischen Dörfchen Stinzenfing. Die Grundschule dient – ganz klassisch – als provisorischer Dreh- und Angelpunkt demokratischer Teilhabe und lädt zur Stimmabgabe ein. Sie gehen in die Wahlkabine und lesen:
Stimmzettel zur Wahl des ersten Bürgermeisters in Stinzenfing
Sie können entweder den, in Bayern nicht selten von der CSU, vorgeschlagenen Bewerber wählen oder, und auch das ist mangels Alternativen nicht selten, eine andere wählbare Person handschriftlich auf dem Stimmzettel eintragen. Nun sagt Ihnen der Vorschlag nicht zu. Füllen Sie also gerne das Vorschlagsfeld in Gedanken aus. Erster Bürgermeister soll werden: Familienname, Vorname, Beruf oder Stand.
Kontrolle: Welche Personen sind Ihnen in den Sinn gekommen?
Handelte es sich bei Ihren Personen um Männer? Oder waren auch Frauen in der Auswahl? Die Gestaltung des Stimmzettels, und dieser scheint einer allgemeinen Vorlage im Freistaat Bayern zu entspringen, macht jedenfalls misstrauisch. Sind überhaupt nur männliche Vorschläge zugelassen oder handelt es sich um ein redaktionelles Versehen? Ein Hinweis darauf, dass sämtliche Geschlechter gemeint sind, aber aus Gründen der Lesbarkeit auf weitere Hinweise verzichtet und ausschließlich die maskuline Form verwendet wird, fehlt jedenfalls.
Der Fall überrascht, lässt er doch eine geschlechterunabhängige Ausgestaltung vermissen. Was gesamtgesellschaftlich oft noch für hitzige Diskussionen sorgt, ist bei deutschen Personaler:innen längst in Fleisch und Blut übergegangen. Eine vergleichbare Stellenanzeige würde in der freien Wirtschaft daher wie folgt lauten:
„Bürgermeister (m/w/d) gesucht“
Und im Sinne der Gleichberechtigung würden öffentliche Arbeitgeber und mancher Bürgermeister selbst noch weiter gehen und „Frauen und Behinderte bei ansonsten gleicher Eignung bevorzugt einstellen“. Da schau her!
Keine begründete Ausnahme
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt (AGG) sorgt seit nunmehr 2006 dafür, dass Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts unterbunden werden. Und dies gilt auch für Bürgermeister:innen. Allerdings hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Jahre 2012 mit Blick auf die begründete Ausnahmemöglichkeit des § 8 Abs. 1 AGG entschieden, dass gewichtige Gründe eine Benachteiligung aufgrund des Alter bei der Bürgermeisterwahl (max. 67 Jahre) zulassen, VerfGH Bayern, Urt. v. 19.12.2012, Az. Vf. 5-VII-12. Bezüglich des Geschlechts muss eine derartige Ausnahme allerdings abgelehnt werden, dies schon in Ermangelung von Gründen.
Vermutlich entspringt die rein maskuline Benennung der Bayerischen Gemeindeordnung, die für die Amtsbezeichnungen konsequent männliche Bezeichnungen verwendet. Dieses Säumnis des Gesetzgebers hat, wie dargestellt, Auswirkungen bis hin in die Wahlkabinen in Stinzenfing. Aber auch der Wortlaut der Gemeindeordnung stellt keinen Grund zur Benachteiligung im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG dar, da diese geändert werden oder zumindest europarechtskonform ausgelegt werden müsste.
Vorbildfunktion des Staates
Gerade der Staat sollte aber mit gutem Beispiel voran gehen und europarechtliche Vorgaben in Sachen Antidiskriminierung und Gleichbehandlung umsetzen. Wie sonst sollen Stellenausschreibungen der öffentlichen Verwaltung mit Hinweis auf sämtliche Geschlechter ernst genommen werden, wenn bei Wahlen und der Besetzung der zentralen Positionen selbst eklatant gegen geltendes Recht verstoßen wird?