Der Europäische Gerichtshof hat im Fall der belgischen Rezeptionistin Samira Achbita eine weitreichende Entscheidung* getroffen. Die muslimische Frau war gekündigt worden, da sie an ihrem Arbeitsplatz ein Kopftuch tragen wollte. Bei ihrem Arbeitgeber, einer belgischen Sicherheitsfirma, bestand jedoch – zunächst ungeschrieben – die generelle Regel, dass Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen. Die Richter sahen in diesem Fall diese interne Regelung als nicht diskriminierend an, da sie für alle Beschäftigten des Unternehmens unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt. Insofern liege nach Ansicht des EuGH eine Gleichbehandlung vor, da die Regelung allgemein und undifferenziert für alle Arbeitnehmer gilt. Damit folgte die Kammer der Einschätzung der Generalanwältin Kokott, die die Auffassung vertritt, dass keine Diskriminierung wegen der Religion vorliegt, sofern der Arbeitgeber religiöse Symbole am Arbeitsplatz generell verbietet.
Sieg der Unternehmerfreiheit über die Religionsfreiheit?
Gleichwohl wird in der Urteilsbegründung angeführt, dass durch ein generelles Verbot religiöser Symbole am Arbeitsplatz durchaus eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 begründet sein kann. Davon sei beispielsweise dann auszugehen, wenn Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Ob dies im Fall von Rezeptionistin Samira Achbita zutrifft, obliegt der Beurteilung durch das nationale Gericht. Schließlich stellt eine Ungleichbehandlung dann keine mittelbare Diskriminierung dar, wenn durch sie ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird. Ein solches rechtmäßiges Ziel sieht der EuGH mit dem Wunsch des Arbeitgebers, dem Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, als gegeben an und betont dabei die unternehmerische Freiheit, wie sie in Art. 16 der Charta der Grundrechte der EU niedergelegt ist. Dies gelte umso mehr, wenn das Verbot sich auf Arbeitnehmer beschränkt, die in Kontakt mit den Kunden treten.
Mit seiner Entscheidung sendet der EuGH ein klares Signal. Er bewertet die unternehmerische Freiheit in seinem Urteil höher als die Religionsfreiheit und hebt ausdrücklich die Möglichkeit der Beschränkung der Religionsfreiheit hervor, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 9 EMRK zu finden ist. Dabei trifft die Entscheidung nicht nur muslimische Frauen, sondern alle Gläubigen aller Religionen. So verkennt der EuGH in seinem Urteil, dass durchaus eine Gleichbehandlung aller Beschäftigter eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion darstellen kann. Schließlich muss auch bei der Diskriminierung aller Religionen von einer Diskriminierung aufgrund der Religion ausgegangen werden.
*EuGH, Urt. v. 14.3.2017 – Rs. C‑157/15 [ECLI:EU:C:2017:203]